CDs
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NEUES
AUS
DER
MUSIKWELT
Sergej Rachmaninow,
Sergej P rokofjew
KLAVIERKONZERTE
Yuja Wang, Simon Bolivar Symphony Orchestra of
Venezuela, Gustavo Dudamel
DG/Universal CD
(72’)
Zwei der schwersten Brocken, die
man sich als Pianist zumuten kann,
hat Yuja Wang im Februar 2013 im
venezolanischen Caracas dargebo-
ten: Rachmaninows drittes Klavier-
konzert und das zweite von Pro-
kofjew, begleitet vom Simon Bolf-
var Symphony Orchestra unter
Gustavo Dudamel. Nun erschien
der Mitschnitt auf CD, und der kann
sich wahrlich hören lassen.
Die immensen manuellen Anfor-
derungen der Werke meistern Yu-
ja Wangs unglaublich flinke Finger
quasi nebenher. So kann es sich die
Chinesin ohne Weiteres leisten, et-
was flottere Tempi für die Konzer-
te zu wählen, was insbesondere im
Rachmaninow-Konzert allen Ten-
denzen zu Schwulst und Schwe-
re entgegenwirkt; hinzu kommt ei-
ne geschmeidige Phrasierung und
ein breites Spektrum an Klangfar-
ben. Bereits die Art und Weise, mit
der sie das Hauptthema des Kopf-
satzes im Rachmaninow-Konzert
abtönt, hebt sie über das Gros der
reinen Virtuosen empor, die Gir-
landen im zweiten Satz kleidet sie
in ein solch verführerisch leuchten-
des Piano, dass man niederknien
möchte, während sie die Tonrepeti-
tionen im Finale wie entfesselt pul-
sieren lässt.
Im Prokofjew-Konzert geht sie in
die Extreme, profiliert die romanti-
schen Passagen deutlicher von den
perkussiven Abschnitten als etwa
Evgeny Kissin in seiner Aufnahme
mit dem Philharmonia Orchestra.
Das Simon Bolfvar Symphony Or-
chestra begleitet schmissig und mit
sattem Schmelz in den Streichern,
nur die Blechbläser-Einsätze las-
sen manchmal zu wünschen übrig.
Auch nicht ganz überzeugend ge-
riet die Aufnahmetechnik, das Or-
chester klingt ein wenig flach, da
der Raum kaum abgebildet wird.
Mario-Felix Vogt
MUSIK ★
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KLANG ★
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In den 1980er Jahren nahm Niko-
laus Harnoncourt die großen Sin-
fonien und Serenaden Mozarts mit
traditionellen Sinfonieorchestern
auf. Heraus kamen Deutungen, die
das Mozart-Bild radikal verändert
haben. In seiner Neueinspielung
der „Posthorn“-Serenade und der
„Haffner“-Sinfonie führt der Diri-
gent nun den Concentus musicus
Wien ins Treffen.
Sieht man von dem kammermu-
sikalischen und von den Eigenar-
ten der „Originalinstrumente“ be-
stimmten Klang dieses Ensembles
ab, hat sich seit damals nicht viel
geändert. Die Charakteristika des
Harnoncourt-Stils scheinen inzwi-
schen allerdings beinahe ins Gro-
teske übersteigert zu sein. Das gilt
etwa für den ausgesucht knalligen
KLAVIERKONZERTE KV 450 U.S9S
Martin Heimchen, Niederländisches Kammeror-
chester, Gordan Nikol ic
Pentatone/Naxos SACD
(55')
Sechs Jahren nach seinem erfolgrei-
chen Pentatone-Debüt mit zwei Mo-
zart-Konzerten in C (Moll und Dur)
hat Martin Helmchen in derselben
Besetzung zwei weitere Mozart-Kon-
zerte aufgezeichnet, diesmal beide
in B-Dur, aber vom Charakter her
doch sehr verschieden.Während das
Konzert Nr. 15, 1784 für den eigenen
Gebrauch geschrieben, einen aus-
gesprochen heiteren Charakter be-
sitzt und dem Pianisten reichlich Ge-
legenheit zur virtuosen Entfaltung
in den Ecksätzen gibt, wirkt der Ton
in Mozarts letztem Klavierkonzert
deutlich lyrischer. Im Todesjahr 1791
entstanden, besitzt dieses Spätwerk
mit seinem Larghetto zudem einen
der ausdrucksvollsten Sätze der Mu-
sikgeschichte.
Auftritt der Blechbläser und Pauken,
das Spiel mit den über Gebühr ge-
dehnten Pausen, die kleinen, immer
rhetorisch zu verstehenden Tempo-
rückungen oder die Zergliederung
des Satzes in viele kleine Klangges-
ten. Der ungleichmäßige Puls des
Sinfonie-Menuetts, in dem die Be-
wegung immer wieder ins Stocken
gerät, ist schon recht ungewöhnlich
für einen Tanzsatz. Andererseits ge-
winnt das d-Moll-Andantino aus der
Serenade unter Harnoncourt ein Pa-
thos, das sich nicht in Sentimenta-
lität ergeht und deshalb umso auf-
richtiger wirkt.
Durch die herben Streicher und
die kantigen Bläser des Concentus
wächst Harnoncourts Mozart eine
Kompromisslosigkeit zu, die da-
mals noch vom Luxusklang eines
Concertgebouw-Orchesters oder
der Wiener Philharmoniker abge-
mildert wurde. Der späte Harnon-
court scheint mehr noch als der frü-
he den Rokoko-Klischees zu miss-
trauen, die sich um das Salzburger
Wunderkind ranken. Und wieder ist
dies ein Mozart zum Nachdenken.
Andreas Friesenhagen
MUSIK ★
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KLANG
Martin Helmchen - 1982 in Ber-
lin geboren - beweist einmal mehr,
warum er heute zu den besten deut-
schen Pianisten seiner Generation
gezählt wird: Er wählt zügig fließen-
de Tempi und gestaltet die schnel-
len Sätze mit der Fingerfertigkeit,
Frische und Virtuosität der Jugend.
Bewundernswert ist, wie genau und
spritzig er artikuliert, wie gut er mit
dem Orchester harmoniert, wie ge-
schmackvoll er auch die langsamen
Sätze spielt (inklusive etwa der Aus-
zierungen im Larghetto).
Wenn die CD trotzdem nicht je-
weils fünf Sterne erreicht, so liegt
das einerseits am Niederländischen
Kammerorchester, dessen Streicher
nicht ganz die Wärme beispielswei-
se des English Chamber Orchest-
ra und vor allem beim KV 595 nicht
die des Scottish Chamber Orchest-
ra unter Mackerras erreichen. Ande-
rerseits gewinnt auch der Flügel un-
ter Helmchens Händen nicht ganz je-
ne klangliche Individualität und Far-
bigkeit, die Perahia und Brendel in
den Vergleichsaufnahmen von Sony
bzw. Philips vorgeführt haben.
Gregor Willmes
MUSIK ★
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KLANG ★
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'
W olfgang Amadeus M ozart
SINFONIE KV 385 U .A .
Concentus musicus Wien, N ikolaus Harnoncourt
Sony CD______________________________(71]
Das DR-Logo gibt den Dynamikumfang des Tonträgers an. Nähere Infos unter www.stereo.de
KLASSIK
Ludw ig van Beethoven
MISSA SOLEMNIS
Lucy Crowe, Jennifer Johnson, u. a., Orchestre
Révolutionnaire et Romantique, Monteverdi Choir,
John Eliot Gardiner
SDG/HM CD__________________________ (69]
Mit seiner Aufnahme von Beetho-
vens „Missa solemnis“ aus dem Jahr
1989 hat John Eliot Gardiner Maß-
stäbe gesetzt. In der neuen Live-Ein-
spielung bleibt der britische Diri-
gent seiner Handschrift grundsätz-
lich treu und setzt auf zügige Tem-
pi und einen noch immer vergleichs-
weise schlanken Klang. Gleichwohl
hat sich Gardiners Musikverständnis
im Laufe der Jahre gewandelt: Der
Ausdruck ist für ihn stärker ins Zent-
rum gerückt. Das spiegelt sich auch in
seiner Interpretation von Beethovens
monumentaler Messe wider. So klin-
gen etwa die „Christe“-Rufe im ers-
ten Satz nicht mehr weich, sondern
wie ein dringliches Flehen; die Text-
phrasierung ist generell noch kon-
sequenter, noch rhetorischer auf die
Hauptsilben hingeführt.
Dabei entwickeln das Orchestre
Révolutionnaire et Romantique und
der Monteverdi Choir an vielen Stel-
len eine mitreißende Bewegungs-
energie. Geradezu unglaublich ist
etwa das finale Tempo der berüch-
tigten „Et vitam“-Fuge: Die hat man
vielleicht noch nie so irrwitzig ra-
sant und zugleich sauber artikuliert
gehört wie hier. Eine sensationelle
Leistung des Chores, der diesmal
etwas größer besetzt ist als 1989.
Gardiner treibt die Musik an ge-
nau jene Grenzen, die Beethoven
sprengen wollte. Das ist sehr be-
eindruckend und oft auch packend.
Dafür nimmt der Dirigent einige Ab-
striche in puncto Perfektion und Ho-
mogenität in Kauf. Diese kleinen
Wackler fallen allerdings nur ver-
einzelt ins Gewicht. Dagegen sind
die Niveauunterschiede der Solis-
ten kaum zu überhören. In der älte-
ren Aufnahme war das Quartett sehr
viel ausgewogener besetzt. Deshalb
wirkt die neuere Einspielung un-
term Strich nicht ganz so rund und
schlüssig wie die von 1989.
Marcus Stäbler
MUSIK * * * * *
KLANG ★
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STEREO 4/2014 135